Was geschieht, wenn Mikroplastik in die Umwelt gelangt? Gibt es Wechselwirkungen zwischen Plastik und Bakterien? Und was für Auswirkungen hat die Mikroplastik-Aufnahme von Jungfischen auf deren Organismus? Diese und mehr Fragen haben sich Wissenschaftler am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und Christian-Albrechts-Universität zu Kiel gestellt.
Aggregation und Interaktion von Mikroplastikpartikeln
Dr. Jan Michels forschte mit Kollegen vom GEOMAR, des Kieler Exzellenzclusters „Ozean der Zukunft" und des Helmholtz-Zentrums Geestacht an dem Thema Aggregation und Interaktion von Mikroplastikpartikeln in der Wassersäule. In Laborexperimenten konnte bereits nachgewiesen werden, dass Mikroplastikpartikel sich mit natürlichen Partikeln leicht verbinden und sogenannte Aggregate bilden. Ist die Mikroplastikoberfläche zusätzlich noch mit Mikroorganismen wie Bakterien und einzelligen Algen bewachsen, kommt es zu einer noch schnelleren und stabileren Aggregatbildung. Die Wissenschaftler vermuten, dass das Mikroplastik verpackt in den Aggregaten, in tiefere Wasserschichten der Ozeane gelangt. Somit ließe sich auch erklären, warum immer häufiger Mikroplastik am Tiefseeboden gefunden wird.

Die im Laborexperiment entstandenen Aggregate aus Plastikkügelchen und natürlichen Partikeln. Foto: Jan Michels/Future Ocean
Können Bakterien im Meeresboden Plastik- und kompostierbare Tüten abbauen?
Eine weitere Forschungsgruppe am GEOMAR hat untersucht, ob Bakterien Plastiktüten im Sediment des Meeresbodens abbauen. Das Ergebnis von Alice Nauendorf und ihren Kollegen: Weder klassische handelsübliche Tüten aus Polyethylen noch sogenannte kompostierbare Kunststofftüten hatten sich nach hundert Tagen im Sediment überhaupt verändert. Es gab weder eine Gewichtsabnahme noch chemische Veränderungen der Tüten. Demnach hat also kein Abbau stattgefunden. Dennoch konnten sie deutlich sehen, dass die kompostierbare Tüte stärker mit Bakterien besiedelt wurde.

Rasterelektronenmikroskop-Aufnahme der kompostierbaren Tüte nach 100 Tagen Inkubation im Sediment. Zu sehen sind Bakterien-Anhäufungen, ein Abbau des Materials ist nicht nachweisbar. Foto: Joachim Oesert, CAU
Mikroplastik im Meeresboden: eine neue Methode zur Identifikation
Zudem hat eine Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des GEOMARs um Dr. Matthias Haeckel eine Methode entwickelt mit der Mikroplastikteilchen im Sediment gezählt werden können. Aufgrund der sehr geringen Größe ist dies keine leichte Aufgabe, da Mikroplastikpartikel mit dem Auge kaum sichtbar und sehr leicht verwechselbar mit Sandkörnern sind. Die Plastikteilchen werden zunächst vom Sediment getrennt und anschließend wird eine spezielle Mikroskopie-Methode verwendet um die verschiedenen Arten von Plastik bestimmen zu können. Diese Information ist besonders wichtig um die Quellen von Mikroplastik identifizieren zu können.
Profisegelsportler helfen Mikroplastikdaten zu sammeln
Eine Kooperation aus Profisegelsportlern und Wissenschaftlern haben sich der Herausforderung gestellt, die Verteilung von Mikroplastik in den Weltmeeren besser aufzuschlüsseln. Hierfür haben Dr. Toste Tanhua (GEOMAR) und Dr.-Ing. Sören Gutekunst (Ozean der Zukunft) spezielle Filter an zwei Yachten befestigt. Die Yachten nahmen am Volvo Ocean Race 2017/2018 teil und sammelten über 8 Monate und ca. 83.000 km Strecke Daten zur Mikroplastikverteilung. Vorläufige Ergebnisse zeigen, dass selbst an der entlegensten Stelle im Ozean Mikroplastik aufzufinden ist.

Die Messstation wurde in die Yacht „Turn the Tide on Plastic", für das Volvo Ocean Race 2017/2018, eingebaut. Sie hat ozeanografische Daten und Proben für die Mikroplastikanalyse genommen. Foto: Stefan Raimund
Die Mikroplastikaufnahme von Jungfischen
Die Mikroplastikaufnahme und -ausscheidung von Plankton fressenden Jungfischen (Schwarzfisch) wurde in einem Laborexperiment von Dr. Nicolas Ory am GEOMAR untersucht. Er hat festgestellt, dass die Fische schwarzes Mikroplastik (ähnlich zu üblichen Nahrungspartikeln des Fisches im Labor), Mikroplastik anderer Farben bevorzugen. Mikroplastik, als einzige Nahrung, wurde meistens von den Jungfischen ausgespuckt und nur geschluckt, wenn es mit Nahrung gemischt war. Die Studie zeigt, dass Jungfische, dazu gehören auch Fischarten von kommerziellem Wert und Wichtigkeit innerhalb der Nahrungskette, anfällig für die Mikroplastikaufnahme sind. Mikroplastik wurde im Durchschnitt nach 7 Tagen wieder ausgeschieden und es war zu beobachten, dass auch nach 7 Wochen keine akuten Auswirkungen auf den Fisch auftraten. Jedoch sind weitere Tests notwendig, um potentielle Einflüsse von Mikroplastik auf das Verhalten und die Physiologie des Fisches zu ermitteln.

Plankton fressende Fische nehmen Mikroplastik bevorzugt auf, wenn es der Beute ähnelt (a), und vermeiden Mikroplastik, welches unterschiedlich zur Beute ist (b). Dieses nehmen sie wahrscheinlich nur versehentlich auf, wenn es neben der Beute treibt (c). Wenn nur Mikroplastik aufgenommen wird, wird es meistens wieder ausgespuckt (a) und nur verschluckt, wenn es mit Nahrung im Mund gemischt ist (c,d). Quelle: Ory et al. 2017, Ory et al. 2018
Bakteriengemeinschaften auf Plastikoberflächen: eine neue Methode
Die Wissenschaftlerin Dr. Cathleen Schlundt entwickelte am Marine Biological Laboratory in Woods Hole (jetzt am GEOMAR tätig) eine neue Methode zur visuellen Identifikation von Bakterien auf Plastikoberflächen. Hierfür hat sie mit ihren Kollegen verschiedene Sonden entwickelt mit denen mehrere Bakteriengruppen (z. B. Bacteroidetes, Alphagammaproteobacteria oder Vibrionaceae), unter einem besonderen Mikroskop gleichzeitig dargestellt werden können. Somit kann die Verteilung von mehreren Bakteriengruppen auf der Plastikoberfläche, deren Interaktion untereinander und mit pflanzlichen Zellen, genauer untersucht werden. Die Methode wurde bereits an Proben aus dem Atlantischen Ozean und der Nordsee angewandt und festgestellt, dass Bakteriengruppen sich gleichmäßig auf Polyethylen-Oberflächen verteilen und im direkten Kontakt zu anderen Bakteriengruppen, aber auch zu pflanzlichen Zellen, stehen.

Mikroskopie-Aufnahme vom Bewuchs auf einem Polyethylen Stück nach einer Woche im Wasser am Woods Hole Dock, USA. Pink groß: Phytoplankton, pink klein: Gammaproteobakteria, hell blau: Rhodobacteraceae, dunkel blau: Bakterien, gelb: Bacteroidetes. Foto: Cathleen Schlundt, GEOMAR
Mikroplastik in der Ostsee: eine Langzeitstudie
Seit 1987 untersucht das GEOMAR jährlich das Nahrungsnetz der Ostsee an mehreren Standorten. Planktonproben und Mageninhalte von Hering und Sprotte werden seitdem konserviert gelagert und wurden nun von Kooperationspartnern in Dänemark unter Beteiligung von Dr. Jan Dierking vom GEOMAR auf Mikroplastik analysiert. Überraschenderweise stieg die Mikroplastikkonzentration im Wasser von 1987 bis 2015 nicht an und behielt einen konstanten mittleren Wert von 0.21 ± 0.15 Partikel pro Kubikmeter Ostseewasser. 20% der untersuchten Mageninhalte enthielten Plastik, hauptsächlich handelte es sich hierbei um Mikroplastikfasern. Es wurde auch hier kein zeitlicher Anstieg von den Wissenschaftlern beobachten. Angesichts der zeitlichen Stabilität der Mikroplastikkonzentrationen im Wasser, sehen die Wissenschaftler die Bestimmung der Transportraten in das Sediment am Boden der Ostsee als wichtigen nächsten Schritt an.

Die Mikroplastikkonzentration in der Ostsee und in Ostseefischen (Hering und Sprotte) ist seit 30 Jahren konstant. Quelle: Beer et al. 2018
Mikroplastik 54°N: Mikroplastik an unseren Küsten
Das Projekt des Kieler Exzellenzclusters „Ozean der Zukunft" hat sich zum Ziel gesetzt die Mikroplastikkonzentration an der schleswig-holsteinischen Ostseeküste zu ermitteln. Im Winter und Sommer 2018 wurden dafür Sandproben aus dem Spülsaum an 10 Standorten zwischen der Flensburger Förde und Lübecker Bucht entnommen. Die Proben wurden dann am GEOMAR im Labor weiter aufbereitet. Ein spezielles Trennverfahren ermöglicht die Mikroplastikpartikel mit ihrer geringen Dichte aus dem Sand zu lösen und an die Oberfläche zu befördern. Die Partikel werden anschließend gesiebt, auf einen Filter überführt und unter einem Mikroskop sortiert. Um sicher zu gehen, ob es sich bei den Partikeln um Plastik handelt, wird die RAMAN Spektroskopie angewandt, welche die chemische Struktur der Oberflächen ermitteln kann.
Weitere Information zu dem Projekt: http://www.oceanblogs.org/mikroplastik54n/
https://www.youtube.com/watch?v=SE7Xcv7X08Y&feature=youtu.be

Kevin Schröder entnimmt Sandproben für die Mikroplastik-Untersuchung. Foto: Fenja Hardel, Exzellenzcluster "Ozean der Zukunft"
Plastik und seine Weichmacher: Wieviel wird an die Umgebung abgegeben?
Der Doktorand Jeyakumar Dhavamani der Christian Albrechts Universität zu Kiel beschäftigt sich mit der Toxizität von verschiedensten Plastiksorten und deren Weichmacher. Weichmacher sind Substanzen, die Plastik seine besonderen Eigenschaften wie zum Beispiel Flexibilität, Stabilität und Abbauresistenz verleiht. Jedoch sind diese Substanzen nicht chemisch an die Polymere gebunden, sie können aus dem Plastik austreten. Weichmacher sind häufig toxisch und können krebserregend sein. In seinem aktuellen Projekt möchte Jeyakumar Dhavamani das Austreten von Phthalaten (Weichmacher) aus verschiedensten Plastikmaterialien (LDPE, HDPE und recycelten Plastik) unter natürlichen Bedingungen untersuchen.

Foto: Sivaraman Chandrasekaran
Was sind die Auswirkungen von Mikroplastik auf die Miesmuschel in der Kieler Förde?
Die Miesmuschel Mytilus edulis ernährt sich von Plankton und filtriert täglich mehrere Liter Meerwasser. Dabei selektiert sie ihre Beute nach Größe. Was passiert jedoch, wenn Mikroplastik in das gleiche Größenspektrum fällt? Diese Frage hat sich auch Thea Hamm gestellt. Die Wissenschaftlerin am Geomar möchte herausfinden, ab welcher umweltrealistischen Mikroplastikkonzentration und Expositionszeit, die Miesmuschel negativ auf Mikroplastik reagiert. Hierfür werden in einem Langzeitlaborexperiment Muscheln verschiedenen Mikroplastikkonzentrationen ausgesetzt und nach gewissen Zeitabständen die physiologische Fitness über Wachstum und Filtrationsleistung getestet. Für das Experiment wurde zuerst die Mikroplastikkonzentration der Kieler Förde ermittelt, um auch realistische Plastikdichten zu verwenden.

Thea Hamm untersucht im Labor, ob die Miesmuschel Mikroplastik bei umweltrealistischen Konzentrationen aufnimmt und ob sie über längere Zeit darauf reagiert. Foto: Jan Steffen, GEOMAR